Ist für den subjektiven Mindesttatbestand einer WE das Erklärungsbewußtsein erforderlich?

  1. Erklärungsbewußtsein ist erforderlich

    Nach einer Auffassung im Schrifttum muß das Erklärungsbewußtsein bei Abgabe der Erklärung tatsächlich vorhanden gewesen sein. Eine Erklärung, die nicht vom Erklärungsbewußtsein getragen wird, stellt nach dieser Meinung keine privatautonome Gestaltung dar und deswegen keine Willenserklärung.
    Argumentiert wird auch mit § 118. Diese Vorschrift stellt auf die subjektive Erwartung des Erklärenden ab, daß der Mangel der Ernstlichkeit erkannt werden würde. Bei dieser Vorstellung fehlt natürlich das Erklärungsbewußtsein. Auf Erkennbarkeit kommt es nicht an. Daraus wird zum Teil abgeleitet, daß eine WE ohne Erklärungsbewußtsein nichtig sei - unabhängig davon, ob der Empfänger dies erkennen konnte oder nicht.

  2. Erklärungsfahrlässigkeit, hM

    Nach hLit, der jetzt auch die Rspr folgt, muß kein aktuelles Erklärungsbewußtsein vorhanden sein, sondern es reicht für den inneren Tatbestand bzw für eine zurechenbare Willenserklärung aus, daß der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, daß sein Verhalten als Willenserklärung aufgefasst wird ('potentielles Erklärungsbewußtsein' bzw sog. 'Erklärungsfahrlässigkeit').
    Der letztgenannten Auffassung ist zu folgen. Letztlich erscheint der Empfänger einer Erklärung, die für den Erklärenden erkennbar den Charakter einer Willenserklärung hat, schutzwürdiger als der Erklärende selbst. Wer durch seine Äußerung vorwerfbar einen Vertrauenstatbestand für den Rechtsverkehr schafft, muß sich zunächst daran festhalten lassen. Einen angemessenen Ausgleich schafft hier die Möglichkeit der Anfechtung nach §§ 119, 121, 122.
    Merke: Die Freiheit der Wahl der Erklärungshandlung verbindet sich mit der Übernahme des Erklärungsrisikos!