Die Relation

 

 

1)     Auslegung des Klägerbegehrens

 

§        Welchen Klagantrag stellt er (noch)?

§        Wie ist sein Klagantrag zu verstehen (Auslegung)?

 

 

2)     Prozessstation: Ist die Klage zulässig?

 

a)       Nach dem Vorbringen des Klägers?

b)      Auch nach dem Vorbringen des Beklagten?

c)      Sind die streitigen oder zweifelhaften Tatsachen bewiesen?

 

 

3)     Klägerstation: Ist die zulässige Klage schlüssig?

 

Das Vorbringen des Klägers besteht aus allen unstreitigen Tatsachen und den bestrittenen Behauptungen des Klägers, so auch aus den Behauptungen des Beklagten, die der Kläger nicht bestreitet oder sich sogar zu eigen macht.

Da das Gericht nur an die Behauptungen, nicht an die Rechtsansichten der Parteien gebunden ist, muss es alle Anspruchsgrundlagen heranziehen, die ernsthaft in Frage kommen, auch wenn der Kläger sie nicht zitiert („iura novit curia“).

Für anspruchsvernichtende Tatsachen hat grds der Beklagte die Behauptungslast. Wenn aber schon der Kläger sie behauptet, indem er zB die Behauptungen des Beklagten bestätigt oder nicht bestreitet, interessiert die Behauptungslast nicht. Man kann einen Prozeß auch dadurch verlieren, dass man zuviel erzählt.

Die Klägerstation endet nicht schon dann, wenn die Klage aus einer von zwei Anspruchsgrundlagen schlüssig ist, sondern man muss auch noch die andere erörtern. Noch weiss man nicht, wie der Beklagte sich verteidigt. Ist die Klage nämlich aus zwei Anspruchsgrundlagen schlüssig, bestreitet der Beklagte aber nur Tatsachen für die eine Anspruchsgrundlage, so ist die Klage ohne Beweisaufnahme aus der anderen Anspruchsgrundlage begründet.

Überflüssig ist eine Anspruchsgrundlage, die lediglich mehr verlangt, aber nicht mehr gibt als eine andere. Das Gutachten soll kein leeres Stroh dreschen. Verlangt der Kläger zB materiellen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, erübrigt es sich, auf die Anspruchsgrundlagen der §§ 823, 831 BGB einzugehen. Die Halter- und Fahrerhaftung nach §§ 7, 18 StVG genügt vollauf. Sie ist günstiger, weil sie weniger voraussetzt. Schmerzensgeld kann jetzt sogar auch nach §§ 7, 18 StVG verlangt werden. Auf das Deliktsrecht muss man nur dann zurückgreifen, wenn der materielle Schaden den Haftungsrahmen des StVG sprengt.

Die Klage ist nicht nur dann unschlüssig, wenn der Kläger für die Anspruchsgrundlage zu wenig behauptet, sondern auch dann, wenn er eine Gegennorm, die den Anspruch ausschliesst, zerstört oder hemmt, vollständig mit Tatsachen ausfüllt.

Die Unschlüssigkeit der Klage ist ein Endergebnis, so dass es auf die Verteidigung des Beklagten nicht mehr ankommt. Das Gutachten schliesst mit dem Entscheidungsvorschlag.

Die Schlüssigkeit der Klage ist nur ein Zwischenergebnis, das zur Beklagtenstation überleitet. Das Gutachten hält fest, dass, in welchem Umfang und aus welcher Anspruchsgrundlage die Klage schlüssig ist.

 

Merke: Im Rahmen des § 331 II ZPO wird die Klage trotz der Säumnis des Beklagten auch dann abgewiesen, wenn der Anspruch schon nach dem Vorbringen des Klägers ausgeschlossen, erloschen oder gehemmt ist.

 

Beispiel:

„Die Klage auf 8.000,- € Schadensersatz ist nur in Höhe von 5.000,- € schlüssig und zwar sowohl aus positiver Vertragsverletzung nach §§ 280 I, 241 II, 278 BGB als auch aus unerlaubter Handlung nach § 831 I 1 BGB.“

„Die unbezifferte Schmerzensgeldklage ist in voller Höhe von 3.000,- € aus §§ 847, 823 I BGB schlüssig. Im übrigen ist die Klage schon nach dem Vorbringen des Klägers unbegründet.“

 

Fragen:

a)       Ist der Tatbestand der Anspruchsgrundlage erfüllt?

b)      Ist der Anspruch ausnahmsweise gleichwohl nicht entstanden (anspruchshindernde Gegennorm)?

c)      Ist der Anspruch erloschen (anspruchsvernichtende Gegennorm)?

d)      Ist der Anspruch gehemmt oder beschränkt (anspruchshemmende oder anspruchsbeschränkende Gegennorm)?

e)       Bleibt der Anspruch trotz b) - d) unbeschränkt erhalten (anspruchserhaltende Ausnahme von der Gegennorm)?

 

 

4)     Beklagtenstation: Ist die schlüssige Klage auch nach dem Vorbringen des Beklagten begründet?

 

Das Beklagtenvorbringen besteht aus allen unstreitigen Tatsachen und den bestrittenen Behauptungen des Beklagten. Auch hier subsumiert man nur Haupttatsachen, keine Indizien.

Die Beklagtenstation beschränkt sich auf diejenige(n) Anspruchsgrundlage(n), die man in der Klägerstation bejaht hat. Sie knüpft unmittelbar an das Zwischenergebnis der Klägerstation an und übernimmt auch die rechtliche Bewertung des Anspruchs.

 

Einleitungssatz:

„Wenn die Fenster im Schankraum in der Zeit vom ... bis ... undicht waren und der Beklagte dies der Klägerin mitgeteilt hat (= streitiger Tatsachenvortrag des Beklagten), könnte der schlüssig dargelegte Zahlungsanspruch aus ... zu verneinen sein. ...“ (Es folgt dann eine Erörterung zu dem Tatbestandsmerkmal, das zu verneinen ist, bzw zu der Einrede im Sinne der ZPO, die dem Anspruch X entgegensteht.)

 

Nach der Behauptungslast besteht die Verteidigung des Beklagten aus Bestreiten, Einwendungen und Einreden. Bestreiten kann nur, wer die Behauptungslast nicht hat, der Schuldner also anspruchsbegründende, der Gläubiger anspruchsfeindliche Tatsachen.

Die bestrittenen anspruchsfeindlichen Tatsachen teilt man ein in anspruchshindernde und anspruchsvernichtende Einwendungen und anspruchshemmende Einreden:

·        Anspruchshindernde Einwendungen füllen eine Gegennorm aus, die den Anspruch ausschließt, so dass er gar nicht entsteht, obwohl die Anspruchsgrundlage passt, zB nach §§ 105, 117, 134, 138, 142 BGB; § 7 II StVG.

·        Anspruchsvernichtende Einwendungen füllen eine Gegennorm aus, die den Anspruch, nachdem er entstanden ist, auslöscht, zB nach §§ 362, 364, 389, 397 BGB.

·        Anspruchshemmende Einreden füllen eine Gegennorm aus, die den Anspruch lähmt oder beschränkt. Die verschiedenen Einreden wirken auch verschieden.

ð        Die Verjährungseinrede (§ 214 BGB) hemmt den Anspruch vollständig und dauerhaft; dieser erlischt zwar nicht, kann gegen den Willen des Schuldners aber nicht mehr durchgesetzt werden. Der verjährte Anspruch wird abgewiesen und endgültig aberkannt.

ð        Die Stundungseinrede hemmt den Anspruch nur vorläufig, bis er fällig wird, und macht die Klage nur „zur Zeit“ unbegründet. Wird der Anspruch später fällig, darf der Gläubiger neu klagen.

ð        Die Einrede des Zurückbehaltungsrechts (§§ 273, 1000 BGB) und des nichterfüllten gegenseitigen Vertrags (§ 320 BGB) verhindert die Verurteilung überhaupt nicht, beschränkt sie aber: Der Schuldner wird nur Zug um Zug gegen Empfang der Gegenleistung verurteilt (§ 274 I, 322 I BGB).

ð        Die Einrede der beschränkten Erbenhaftung ist noch schwächer; sie verhindert nicht, dass der beklagte Erbe voll verurteilt wird, sondern erhält ihm nur das Recht, die Haftung auf den Nachlass zu beschränken und die Vollstreckung in sein Eigenvermögen mit einer Art Vollstreckungsgegenklage (§§ 780, 786 ZPO) abzuwehren.

 

Die Beklagtenstation darf zwar keine neuen Anspruchsgrundlagen erörtern, muss aber alle Rechtsfragen, die in der Klägerstation bejaht worden sind, noch einmal beantworten. Sie muss überdies alle anspruchsfeindlichen Gegennormen heranziehen, die ernsthaft in Frage kommen, auch wenn der Beklagte sie nicht zitiert („iura novit curia“).

Die Beklagtenstation endet nicht schon damit, dass die Verteidigung aus einer von zwei Gegennormen erheblich sei, sondern muss auch die andere erörtern. Noch weiss man nicht, welche Einwendung oder Einrede der Beklagte beweisen kann. Verteidigt sich der Beklagte mit zwei erheblichen Einwendungen, gewinnt er nur, wenn er wenigstens eine beweist. In der Beklagtenstation schon aus einem anderen Grunde erheblich sei.

Die Beklagtenstation verarbeitet zwar nur das Vorbringen des Beklagten, aber sie verarbeitet es vollständig, ob es dem Beklagten nützt oder schadet. Die Verteidigung des Beklagten ist nicht nur dann unschlüssig (unerheblich), wenn der Beklagte weder eine anspruchsbegründende Tatsache bestreitet noch ausreichend Tatsachen für eine anspruchsfeindliche Gegennorm behauptet; sie scheitert auch dann, wenn der Beklagte Tatsachen für eine Ausnahmeregel behauptet, welche die Gegennorm ausschließt und den Anspruch erhält.

Die Verteidigung des Beklagten ist entweder schlüssig (erheblich) oder unschlüssig (unerheblich). Schlüssig ist sie, wenn die Klage nach dem Vorbringen des Beklagten unbegründet ist.

 

Gegen eine Klage, die aus mehreren Anspruchsgrundlagen schlüssig ist, verteidigt sich der Beklagte nur dann schlüssig, wenn sein Vorbringen rechtlich alle Ansprüche ausschliesst. Denn wenn der Tatbestand auch nur einer Anspruchsgrundlage, an die vielleicht keine Partei denkt, schon nach dem unstreitigen Sachverhalt erfüllt ist, ohne daß der Beklagte dagegen eine schlüssige Einwendung oder Einrede erhebt, ist die Klage bereits begründet; die Verteidigung des Beklagten scheitert hier nicht nur teilweise, sondern vollständig.

 

Bsp.: Der Kläger verlangt vom Beklagten, seinem Mieter, Schadensersatz, weil dessen Möbelträger das Treppenhaus beschädigt haben. Der Beklagte behauptet, er habe die Umzugsfirma sorgfältig ausgewählt und deren Leute nach Kräften überwacht.

 

Die Verteidigung mag erheblich sein gegen den Anspruch aus unerlaubter Handlung (§ 831 I 1 BGB), gegen den stärkeren Anspruch aus Vertragsverletzung nach §§ 280 I 1, 241 II, 278 BGB ist sie unerheblich. Das Verschulden der Hilfspersonen wird, wenn es nicht gar unstreitig ist, nach § 280 I 2 BGB vermutet. Entlasten kann sich der Beklagte nur nach § 831 I 2 BGB, nicht nach § 278 BGB. Die schlüssige Klage ist aus Vertragsverletzung begründet.

 

Die Unschlüssigkeit der Verteidigung ist ein Endergebnis.. Das Gutachten endet mit der Feststellung, die Klage sei begründet. Nur die schlüssige Verteidigung führt zur Beweisstation.

Die Schlüssigkeit der Verteidigung ist nur ein Zwischenergebnis. Die Entscheidung hängt jetzt vom Beweis ab. Denn wenn die Klage nach dem Vorbringen des Klägers begründet, nach dem Vorbringen des Beklagten hingegen unbegründet ist, muss mindestens eine erhebliche Tatsache streitig sein.

Das Gutachten hält fest, welches Vorbringen des Beklagten gegen welche Anspruchsgrundlage aus welchem Grund und mit welcher Wirkung schlüssig ist.

Das Ergebnis formuliert man zweckmäßig nach der Beweislast: entweder als Bestreiten oder als Behauptung des Beklagten, denn die Beweislast bestimmt sowohl die gerichtliche Aufklärung (§ 139 ZPO) als auch die Beweisanordnung, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung.

 

Beispiele:

·        Das Bestreiten des Beklagten, er habe das Schreiben des Klägers vom 19.6. mit der Frist zur Nacherfüllung nicht erhalten, ist erheblich gegen den Anspruch aus §§ 280 III, 281 I 1 BGB mit der Folge, dass der Kläger vom Beklagten keinen Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann.

·        Die Behauptung des Beklagten, er habe seine Kauferklärung vom 3.10. mit Schreiben vom 13.12. „widerrufen“, weil der Kläger ihm den schweren Unfall des verkauften Autos verschwiegen habe, ist erheblich gegen den Kaufpreisanspruch aus § 433 II BGB. Damit hat der Beklagte seine Kauferklärung rückwirkend vernichtet, so dass auch der Kaufpreisanspruch des Klägers erloschen ist.

 

 

Fragen:

a)       Anspruchsgrundlage?

b)      Anspruchshindernde Einwendungen?

c)      Anspruchsvernichtende Einwendungen?

d)      Anspruchshemmende oder –beschränkende Einreden?

e)       Anspruchserhaltende Gegeneinwände?

 

 

5)     Beweisstation: Stehen die streitigen, erheblichen Tatsachen fest?

 

a)       Von welchen streitigen Tatsachen hängt die Entscheidung rechtlich ab (Beweisthemen)?

b)      Stehen die Tatsachen schon ohne Beweis fest (offenkundige Tatsachen, unstreitige Indizien, Beweisvereitelung)?

c)      Sind die beweisbedürftigen Tatsachen bewiesen (Beweiswürdigung)?

(1)     Welche Beweise sind vorhanden?

(2)     Sind sie zulässig und verwertbar?

(3)     Sind sie ergiebig?

(4)     Überzeigen sie?

d)      Wenn ein Beweisthema nicht bewiesen ist: Wer trägt die Beweislast?

e)       Sind alle Beweisangebote zu beweisbedürftigen Tatsachen erledigt?

f)       Ist ausnahmsweise von Amts wegen Beweis zu erheben?

 

 

6)     Entscheidungsstation: Ist der Rechtsstreit schon entscheidungsreif, und welche Entscheidung ist zu fällen?

 

a)      Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif

(1)     Art des Urteils: Vollend-, Teil-, Zwischen- oder Vorbehaltsurteil?

(2)     Fassung des Tenors

(3)     Kostenentscheidung

(4)     Vorläufige Vollstreckbarkeit

 

b)      Der Rechtsstreit ist noch nicht entscheidungsreif

 

(1)     Aufklärungsbeschluß (§ 139 ZPO)

Klage und Verteidigung sind oft deshalb unschlüssig, weil die Parteien ihre Behauptungslast unterschätzen. Dann aber muss das Gericht ihnen Gelegenheit geben, das Fehlende nachzuholen. Vollständig ist nur der schlüssige Parteivortrag, der die Anspruchsgrundlage oder Gegennorm lückenlos mit Tatsachen ausfüllt. Wer zu wenig behauptet, verkennt meist die Behauptungslast und bedarf der Belehrung. Deshalb weist das Gericht die unschlüssige Klage nicht ab, die unerhebliche Verteidigung nicht zurück, bevor es der Partei Gelegenheit gegeben hat, ihren lückhaften Vortrag zu ergänzen.

 

(2)     Terminsverfügung (§ 273 ZPO) oder Beweisbeschluß (§§ 358a, 359 ZPO)