Überblick über die Schuldrechtsreform


  1. Einführung:

Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am 11.Oktober 2001 den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts angenommen. Das Gesetz war nicht zustimmungsbedürftig und es gab im Bundesrat keine Mehrheit für die Anrufung des Vermittlungsausschusses. Somit konnte am 1.1.2002 das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts in Kraft treten, das dem BGB ein voellig neues Gesicht gegeben hat. Die Umgestaltung betrifft alle Juristen, auch die, deren Tätigkeitsschwerpunkt nicht in den ersten zwei Büchern liegt.

Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz dient zum einen der Umsetzung der folgenden drei europäischen Richtlinien in nationales Recht:

Die Vorgaben der genannten Richtlinien hätten sich auch durch punktuelle Änderungen des geltenden Rechts ohne eine umfassende Schuldrechtsreform im Rahmen einer sog. "kleinen Lösung" innerhalb oder ausserhalb des BGB umsetzen lassen. Der Gesetzgeber hat sich aber dazu entschlossen, die Umsetzung der Richtlinien zum Anlass einer seit längerem diskutierten umfassenden Änderung der Kodifikation des Allgemeinen und Besonderen Schuldrechts sowie des Verjährungsrechts zu nehmen.


  1. Überblick über die wichtigsten Änderungen:

Die Reform hat vor allem Auswirkungen auf die folgenden 4 Bereiche:


  1. Allgemeines Leistungsstörungsrecht

  1. Die "Pflichtverletzung" als zentraler Begriff des Leistungsstörungsrechts

    Zentraler Begriff des alten Leistungsstörungsrechts war der der "Unmöglichkeit" der Leistung, welche in der Praxis nicht nur selten auftratt, sondern auch nur bei bestimmten Schuldverhältnissen auftreten konnte (z.B. bei Zerstörung des verkauften Einzelstücks).
    Ein wesentliches Ziel der Reform war es, das Leistungsstörungsrecht durchsichtiger und klarer zu machen. Sämtliche Leistungsstörungstatbestände im Besonderen Teil des Schuldrechts sollten nunmehr dem Allgemeinen Schuldrecht entstammen bzw auf diesem aufbauen. Hierzu dient als zentraler Tatbestand des Leistungsstörungsrechts der Begriff der "Pflichtverletzung".
    Die Kategorie der Unmöglichkeit wurde zwar nicht - wie anfänglich vorgesehen - als Rechtsbegriff aufgehoben, ihre Bedeutung reduziert sich aber im Wesentlichen auf die Frage des Schicksals der Primärleistungspflicht.

    1. Unmöglichkeit der Leistung

      Nach § 275 I BGB führt nunmehr jede Art der Unmöglichkeit ohne Rücksicht auf ihren objektiven oder subjektiven Charakter, den Zeitpunkt ihres Eintritts oder die Frage des Vertretenmüssens zur Befreiung des Schuldners von der Primärleistungspflicht. Allerdings stellt § 275 IV BGB klar, dass die Sekundäransprüche des Gläubigers bestehen bleiben.
      Auch die anfängliche objektive Unmöglichkeit führt, wie § 311a I BGB klarstellt, anders als nach bisherigem Recht (§ 306 BGB aF) nicht mehr zur Nichtigkeit des Vertrages. Das hat zur Folge, dass

      • der Vertrag wirksam ist (§ 311a I BGB), aber eine Leistungspflicht des Schuldners nicht entsteht, § 275 I BGB ("impossibilium nulla est obligatio"!).

      • die Gegenleistungspflicht des Gläubigers entfällt, § 326 I BGB.

      Der Gläubiger kann gemäß § 311a II BGB nach seiner Wahl das positive Interesse ("SE statt der Leistung") oder das negative Interesse (vgl. § 284 BGB - Ersatz vergeblicher Aufwendungen) verlangen.

    2. Haftung für Pflichtverletzung

      Zentraler Haftungstatbestand für die Verletzung der Pflicht aus einem Schuldverhältnis ist § 280 BGB. Danach haftet der Schuldner für den durch die Pflichtverletzung entstandenen Schaden. Die Haftung ist unabhängig vom Vertretenmüssen, welches allerdings vermutet wird. Sämtliche bisher auf die sog. "positive Forderungsverletzung" gestützten SE-Ansprüche haben damit eine Grundlage im Gesetzestext.
      Für den Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung sowie für den "SE statt der Leistung" (früher: SE wg Nichterfüllung) stellt das Gesetz in den §§ 281 ff BGB jedoch besondere Voraussetzungen auf. Hier finden sich Sonderregelungen für den Fall der verspäteten oder mangelhaften Leistung (§ 281 BGB), den Fall der Nebenpflichtverletzung (§ 282 BGB) sowie für den SE im Falle der Unmöglichkeit (§§ 283, 311a II BGB).


  2. Fristsetzung sichert Vorrang des Erfüllungsanspruchs

    Im Gesetz ist nun ein "Vorrang des Erfüllungsanspruchs" geregelt, d.h. dass weitergehende Rechte als der Erfüllungsanspruch (z.B. SE statt der Leistung oder Rücktritt bei möglicher Nacherfüllung) sind nur nach Fristsetzung möglich sind (vgl. §§ 280 III, 281; 323 BGB!).


  3. Vom Vertretenmüssen unabhängiges Rücktrittsrecht

    Umgstaltet und radikal vereinfacht wurden die Regelungen der §§ 346 ff BGB über die Ausgestaltung des Rücktrittsrechts. Diese Regelungen sollen nunmehr gleichermassen für gesetzliche und vertragliche Rücktrittsrechte gelten. Die komplizierten und teilweise unklaren Verweisungen auf das vertragliche Rücktrittsrecht, die das frühere Recht für gesetzliche Rücktrittsrechte und das Wandlungsrecht enthielt, konnten dadurch entfallen.
    Anders als nach früherem Recht wird der Bestand des Rücktrittsrechts nun nicht mehr von der Frage abhängig gemacht, ob der Rücktrittsberechtigte zur Rückgabe des empfangenen Gegenstandes imstande ist. Das ist jetzt eine Frage der neu eingeführten Wertersatzpflicht des Schuldners, wenn er zur Rückgabe des empfangenen Gegenstandes ausserstande ist (§ 346 II, III BGB).

    1. § 323 BGB regelt beim gegenseitigen Vertrag ein Rücktrittsrecht des Gläubigers - wiederum zur Sicherung des Vorrangs der Erfüllung grds. erst nach Fristsetzung, vgl. § 323 I, II BGB. Bei wesentlicher Verletzung einer sonstigen Pflicht durch den Schuldner kann der Gläubiger gemäss § 324 BGB vom Vertag zuruecktreten, wenn ihm ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zuzumuten ist.

    2. Wichtige Neuerung ist, dass nach § 325 BGB in Abweichung zur alten Rechtslage ("statt") Schadensersatz wegen Nichterfüllung neben dem Rücktritt verlangt werden kann.


  4. Normierung bislang gewohnheitsrechtlich anerkannter Rechtsinstitute

    Ein weiteres Anliegen des Gesetzes war die Kodifizierung bestehender richterrechtlicher Rechtsinstitute.

    1. § 313 BGB regelt nunmehr den Wegfall der Geschäftsgrundlage, wobei allerdings die von der Rspr. insoweit entwickelten Leitlinien in allgemeiner Form im Gesetz niedergelegt wurden.

    2. Auch die Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsanbahnung (cic) ist nunmehr im Gesetz geregelt. In § 311 Abs. 2 und 3 BGB werden die typischen Fallgruppen eines solchen vorvertraglichen Schuldverhältnisses bestimmt. § 241 II BGB bestimmt, dass sich aus einem Schuldverhältnis für die Beteiligten auch Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen Teils ergeben können.

    3. Durch den zentralen Haftungstatbestand der Pflichtverletzung in § 280 I BGB sowie die gesetzliche Verankerung der Nebenpflichten aus dem Schuldverhältnis in § 241 II BGB hat nunmehr die positive Forderungsverletzung (pFV) eine gesetzliche Verankerung gefunden.

    4. Mit § 314 BGB regelt das Gesetz nun auch die außerordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund, welche bislang nur in §§ 554a, 626, 723 geregelt war.


  1. Kauf- und Werkvertragsrecht

  1. Wegfall eines besonderen Gewährleistungsrechts beim Kauf

    1. Ein wesentliches systematisches Ziel der Reform des Leistungsstörungsrechts war der Wegfall eines besonderen Gewährleistungsrechts beim Kaufrecht: Die kaufrechtliche Sachmängelgewährleistung schliesst an das allgemeine Leistungsstörungsrecht an und geht weitestgehend in ihm auf. Das zeigt sich daran, dass es keine speziellen kaufrechtlichen Regelungen über die Wandelung (§§ 462, 467 BGB a.F.) und den Schadensersatz (§ 463 BGB a.F.) mehr gibt, sondern diese nunmehr in einem nach allgemeinen Regeln zu behandelnden Rücktrittsrecht (§§ 323, 346 ff BGB) und in den allgemeinen Regelungen über den Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (§ 280 BGB) aufgehen.
      Die Haftung für die Zusicherung von Eigenschaften ist nunmehr als Frage des Vertretenmüssens im neuen § 276 BGB angesiedelt.

    2. Nunmehr wurde die Unterscheidung zwischen Rechts- und Sachmangel sowie zwischen Stück- und Gattungskauf wenn nicht beseitigt, so doch beträchtlich verringert.

    3. Der Sachmangelbegriff wird auf die Fälle der Aliudlieferung und der negativen Quantitätsabweichung erweitert, vgl. § 434 III BGB. Zu beachten ist insoweit, dass es bei der Aliudlieferung nicht mehr auf die Genehmigungsfähigkeit der Aliudlieferung ankommt.


  2. Nacherfüllungsanspruch des Käufers

    Im Kaufrecht wird nunmehr - in Angleichung zum Werkrecht, vgl. §§ 633, 634, 635 - eine Stufenfolge für die Gewährleistung eingeführt.
    Der Käufer hat zunächst einen Anspruch auf Nacherfüllung, § 439 BGB. Diese erfolgt grds. nach Wahl des Käufers durch Mängelbeseitigung oder durch Neulieferung (kann aber durch den Verkäufer bei unverhältnismäßigem Aufwand verweigert werden, vgl. § 439 III BGB!).
    Erst, wenn diese nach Fristsetzung nicht erbracht wird, hat der Käufer die in § 437 BGB im Überblick genannten Rechte:


  3. Änderungen im Werkvertragsrecht

    Weniger einschneidend sind dagegen die Änderungen im Werkvertragsrecht. Sie beschränken sich neben der Verlängerung der Gewährleistungsfristen im Wesentlichen auf eine systematische Anpassung des Gewährleistungsrechts an das neue Allgemeine Leistungsstörungsrecht sowie bestimmte Detailregelungen wie etwa über den Kostenvoranschlag (§ 632 III BGB).
    Da bereits nach bisherigem Recht die werkvertragliche Gewährleistung von einem vorrangigen Nachbesserungsrecht des Bestellers ausgegangen war (§ 633 BGB a.F.), ist der sachliche Unterschied zum bisherigen Recht insoweit gering.
    Von erheblicher Bedeutung ist hingegen die Verlängerung der Gewährleistungsfristen und die hierbei getroffene Unterscheidung zwischen körperlichen und geistigen Werken (§ 634a BGB). Damit soll etwa für Planungs- und Beratungsleistungen, bei denen eine lange Zeit zwischen Pflichtverletzung und Entstehung bzw Erkennbarkeit des Schadens liegen kann, vermieden werden, dass Ansprüche bereits vor ihrer Entstehung verjähren. Während nach geltendem Recht die Ansprüche idR nach 6 Monaten ab der Abnahme des Werkes (bei Arbeiten an einem Grundstück nach 5 Jahren) verjähren, wurde jetzt die Verjährung auf 2, 3 bzw 5 Jahre verlängert.
    Auch wurde die Regelung über Werklieferungsverträge (§ 651 BGB) radikal vereinfacht. Nunmehr finden ohne Unterscheidung zwischen vertretbaren und unvertretbaren Sachen weitestgehend die Vorschriften über den Kauf Anwendung, wenn Gegenstand des Vertrages die Lieferung herzustellender beweglicher Sachen ist.


  4. Neuregelungen im Darlehensrecht

    Ohne wesentliche Neuerung ist die Neuregelung des Darlehensrechts. Die Änderungen beschränken sich weitestgehend auf eine Neustrukturierung sowie auf eine sprachliche Modernisierung des Rechts der Kreditvergabe. Der aus dem Verbraucherkreditgesetz bekannte Begriff des "Kredits", der als Oberbegriff für das Gelddarlehen, einen Zahlungsaufschub und sonstige Finanzierungshilfen diente, wird aufgegeben. Vielmehr wird - in Anlehnung an das nun eingegliederte Verbraucherkreditgesetz - zwischen "Darlehensvertrag", "Finanzierungshilfen" und "Ratenlieferungsverträgen" unterschieden. Die §§ 607 ff BGB regeln hingegen nur noch den Sachdarlehensvertrag.


  1. Verjährungsfrist

  1. Einführung einer regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren in Kombination mit einem Kenntnis- oder Erkennbarkeitskriterium

    1. Die Regelverjährungsfrist beträgt nicht mehr wie bislang 30 Jahre, sondern 3 Jahre, vgl. § 195 BGB.

    2. Hinsichtlich des Verjährungsbeginns musste der Gesetzgeber angesichts dieser massiven Verkürzung der Regelverjährung auf ein subjektives System wechseln. Die Regelverjährung beginnt gemäss § 199 I BGB erst

    3. Andere Ansprüche als solche wegen Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit verjähren unabhängig von der Kenntnis des Gläubigers spätestens in 10 Jahren ab ihrer Entstehung (§ 199 IV BGB).
      Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, aus Gefährdungshaftung und aus der Verletzung von Pflichten aus einem Schuldverhältnis verjähren spätestens in 30 Jahren nach Fälligkeit (§ 199 III BGB).
      Besondere Verjährungsregeln von 10 bzw 30 Jahren gelten für Ansprüche auf die Übertra-gung bzw Einräumung von bestimmten dinglichen Rechten an Gründstücken einschliesslich der betreffenden Gegenleistung (§ 196 BGB), für bestimmte dingliche und familien-rechtliche Ansprüche sowie für titulierte Ansprüche (§ 197 BGB).


  2. Ausnahmetatbestände

    Wichtige Ausnahmen finden sich insoweit insbesondere für die Mängelansprüche im Kaufrecht und im Werkrecht.

    1. Die Mängelansprüche des Käufers bzw. Bestellers verjähren nunmehr gemäß §§ 438 I Nr. 3 BGB bzw. 634a I Nr. 3 BGB grds. in 2 Jahren - statt bisher in 6 Monaten (vgl. §§ 477, 638 aF).
      Ausnahmsweise beträgt die Frist 5 Jahre bei Mängeln von in Gebäuden eingebauten Sachen (§ 438 I Nr. 2 BGB) bzw. bei Bauwerksmängeln (§ 634a I Nr. 1 BGB).

    2. Der Lauf der Frist beginnt mit Ablieferung der Sache / Übergabe des Grundstücks (§ 438 II BGB) bzw. der Abnahme des Werks (§ 634a II BGB)

    3. Bei Arglist gilt die Regelverjährungsfrist (§ 438 III BGB bzw. § 634a III BGB).


  3. Hemmungs- und Unterbrechungsgründe

    1. Durch die Reform wird die Anzahl der bisherigen Unterbrechungstatbestände (Beachte: die "Unterbrechung" wird nun als "Neubeginn der Verjährung" bezeichnet!) gemindert, die Anzahl der Hemmungstatbestände dagegen ausgeweitet.

    2. Zum Neubeginn der Verjährung (= bisher "Unterbrechung"): § 212 BGB.
      Fälle:

    3. Zur Hemmung der Verjährung:


  1. Integration der Verbraucherschutzgesetze

  1. Ziel der Integration der Verbraucherschutzgesetze war das Anstreben einer einheitlichen zivilrechtlichen Gesamtkodifikation. Das zivilrechtliche Verbraucherrecht soll an den Grundprinzipien des BGB ausgerichtet werden. Hierdurch sollte ein erheblicher Fortschritt an Transparenz und Verständlichkeit erreicht werden.

  2. Da das AGBG, das HWiG und das FernAbsG nicht vertragsorientiert sind, werden diese Gesetze in das Schuldrecht-AT eingegliedert:

  3. Hingegen sind das TzWrG und das VKG vertragsorientiert, weshalb diese Verbraucherschutzgesetze nunmehr im Schuldrecht-BT geregelt werden:


  1. Zeitlicher Anwendungsbereich der Neuregelungen:


  1. Die Änderungen im Schuldrecht:

    Insoweit ist die Regelung des Art. 229 § 4 EGBGB zu beachten:

  2. Die Änderungen im Verjährungsrecht:

    Hier ist die Regelung des Art. 229 § 5 EGBGB zu beachten, wonach wie folgt zu unterscheiden ist:

    1. Grundsatz: (Art. 229 § 5 Abs. 1 EGBGB)

      Die neuen Verjährungsregeln finden auf die am 01.01.2002 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche Anwendung (Abs. 1 S. 1)

    2. Ausnahmen: (Art. 229 § 5 Abs. 1 S.2, Abs. 2, Abs. 3 EGBGB)

    3. Anwendung auf andere Fristen: (Art. 229 § 5 Abs. 4 EGBGB)

      Die vorstehend genannten Regeln des Art. 229 § 5 Abs. 1-3 EGBGB gelten auch für Fristen, die für die Geltendmachung, den Erwerb oder den Verlust eines Anspruchs oder Rechts maßgebend sind (Abs. 4); Bsp.: §§ 121, 124